Die Kohletante kommt
Hannelore Kraft will für die SPD die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gewinnen und Ministerpräsidentin werden. Ihre Botschaft lautet: «Ich bin eine von euch.» Überraschenderweise könnte sie es schaffen.
Porträt, erschienen bei news.deSie hasst diese Vergleiche. Was verbindet sie schon mit Angela Merkel? Mal davon abgesehen, dass beide in der Politik erfolgreich sind. «Ich weiß nicht, was diese Frau entscheidet», sagt Hannelore Kraft über die Kanzlerin. Diese ewige Aussitzerei. Sie selbst ist anders. Sie packt an, sie kümmert sich. Das ist schon mal das erste, was klar sein soll.
Und es ist das, worauf sie alle hoffen bei Anthrazit Ibbenbüren, in Deutschlands nördlichster Zeche. Noch wird hier Steinkohle gefördert, aber die Perspektiven sind düster wie der finsterste Bergwerksstollen. Da steht nun Hannelore Kraft, 49, Spitzenkandidatin der SPD in Nordrhein-Westfalen. Sie ist auf Wahlkampftour, an einem Freitagmittag kurz vor der Landtagswahl. Sie steht im Festsaal der Zeche, einem 70er-Jahre Beton-Flachbau, und redet davon, dass die Kohle eben doch noch eine Zukunft habe. Da hänge schließlich so viel dran, die Boombranche Bergbautechnik zum Beispiel. Sie sei da «standortegoistisch», sagt sie.
Diese umständliche Ausdrucksweise, man hört so etwas oft von ihr. «Wohnortnahe Schulversorgung» ist auch so ein Wort, sie ist keine geborene Rednerin. Wie sie das sagt, übers Rednerpult nach vorn gelehnt, im dunklen Hosenanzug, da wird die Presse es wohl wieder schreiben: Wie Merkel.
Und dann kommt so ein Satz: «Ich bin ja die Kohletante.» Das ist Kraft, das ist Ruhrpott pur, so etwas würde die Bundeskanzlerin niemals sagen. Und das kommt an bei Anthrazit Ibbenbüren. «Sie ist unsere letzte Chance», sagt der Betriebsratschef. Natürlich war der Empfang herzlich unter den schwarz-stählernen Fördertürmen. Viele Umarmungen, alle sind per Du. Für Hannelore Kraft ist das ein Heimspiel. Hier kann sie dem Journalistentross zeigen: Die Allianz aus SPD und Gewerkschaften, sie lebt. Ibbenbüren, Tecklenburger Land, weitab vom Ruhrgebiet, trotzdem ein Rest sozialdemokratischen Kernlands.
Viel ist nicht übrig von der alten Herrlichkeit des roten NRW. Das Land kämpft mit dem Strukturwandel, das Arbeitermilieu ist am Verschwinden. Gerade einmal 25.000 Bergleute gibt es noch, in den 1950er Jahren waren es eine halbe Million. Die Kohle kommt längst vom anderen Ende der Welt, billig importiert. Und dann, 2005, verloren die Sozialdemokraten die Landtagswahl. Nach 39 Jahren an der Regierung mussten sie die Staatskanzlei in Düsseldorf räumen.
Es war so etwas wie die Stunde Null der SPD in Nordrhein-Westfalen. Viele Spitzenleute der Partei suchten das Weite, gingen nach Berlin oder in die Wirtschaft. Damit war der Weg frei für neue Gesichter. Wie Hannelore Kraft. Sie war erst 1994 in die SPD eingetreten, sie ist studierte Ökonomin, arbeitete als Unternehmensberaterin. Sie stieg schnell auf in der Partei. 2000 zog sie in den Landtag ein, 2001 machte der damalige Ministerpräsident Wolfgang Clement sie zur Europaministerin. Im Jahr darauf wurde Kraft Wissenschaftsministerin unter Clements Nachfolger, Peer Steinbrück.
Nach dem historischen Wahldebakel vor fünf Jahren übernahm sie den Fraktionsvorsitz im Landtag. Kein anderer, so ist zu hören, war damals bereit, sich verbrennen zu lassen, auf dem Tiefpunkt der SPD. 2007 wurde Hannelore Kraft dann auch zur Parteichefin gekürt – und zur Herausforderin des CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers. Nicht, dass ihr damals jemand zugetraut hätte, den Amtsinhaber zu schlagen. Noch Ende letzten Jahres, das Debakel der SPD hatte bei der Bundestagswahl gerade neue Dimensionen erreicht, hätte kaum jemand einen Cent auf Kraft gegeben.
«Ich bin eine von euch» – das ist die Botschaft
Jetzt aber, kurz vor der Wahl, ist alles anders. Auf einmal liegt die SPD in Umfragen nur noch wenige Punkte hinter der CDU, der grüne Wunschpartner hat die FDP weit hinter sich gelassen. Eine sichere Mehrheit gibt es für keines der Lager, der Wahlausgang ist völlig offen. Auf einmal hoffen die Sozialdemokraten wieder, sie jubeln ihrer Spitzenkandidatin zu. Und Kraft steht vor den Bergleuten in Ibbenbüren und verspricht, sie werde das Auslaufen der Kohlesubventionen stoppen.
«Ich bin auf eurer Seite», das ist die Botschaft, die sie vermitteln will, mehr noch: «Ich bin eine von euch». Nachdem Kraft den Parteivorsitz übernommen hatte, verdonnerte sie alle Landtagsabgeordneten zu Arbeitseinsätzen in Betrieben – sich selbst vorneweg. Sie will den Kontakt zu den Menschen herstellen, die SPD, das sagt sie immer wieder, muss die «Kümmererpartei» sein. Im Gegensatz zum Ministerpräsidenten, das schwingt immer mit, zu Jürgen Rüttgers, der sich «Arbeiterführer» nennen lässt und die Zechen dichtmachen will, der so spröde wirkt, so weit weg von den Menschen.
Hannelore Krafts Wahlkampfteam setzt ganz auf die menschelnde Karte. Auf ihrer Webseite und in Broschüren sind Familienfotos zu sehen und berührende Geschichten aus ihrem Leben. Über gemeinsame Urlaube mit Mann Udo und dem 17-jährigen Sohn Jan im Sauerland. Über ihre Herkunft aus einer Straßenbahnerfamilie in Mülheim an der Ruhr. Darüber, wie sie sich durchbeißen musste, um dahin zu kommen, wo sie jetzt ist. In Fettdruck sind Zitate zu lesen: «Wenn du aufs Gymnasium gehst, können wir dir nicht helfen. Da musst du alleine durch.» Das sagte der Vater 1971 zur kleinen Hannelore. Wenn Kraft über Bildungspolitik redet, eins ihrer Kernthemen, dann spricht sie immer auch über sich.
Das Schlagwort, das die Wähler mit ihr verbinden sollen, ist: «authentisch». Hannelore Kraft, das Arbeiterkind aus dem Kohlenpott. Das seine Herkunft nicht vergessen hat. Spricht Kraft mit den Menschen auf der Straße, dann kommt der Ruhrgebietsdialekt hervor. «Ich sach’ ihnen watt» und «Guten Tach».
Die Menschen auf dem Marktplatz von Dülmen wirken etwas überfahren vom Auftritt der Kümmererpartei. Eben noch friedlich beim Einkaufen, zwischen roten Backsteinhäusern, Rathaus, Kirche. Dann macht die Wahlkampfwalze halt, Fernsehkameras, Fotoapparate und Notizblöcke ergießen sich zwischen die Gemüsestände. «Guten Tach» sagt Hannelore Kraft, und beugt sich über Spargelkisten. Wo kommen Sie her?, und bitte gehen Sie zur Wahl, und hier ein Rösschen, und weiter, zum nächsten Stand. In Dülmen ist der Wahlkampf nicht so leicht wie in der Zeche. Kraft ist hier Kandidatin, nicht Genossin. Dülmen war nie eine rote Hochburg. Die Kleinstadt liegt im Münsterland, in Nordrhein-Westfalens katholischem schwarzen Norden.
Die CDU warnt vor dem hessischen Menetekel
Am Rand des Marktplatzes gibt Kraft dem hessischen Rundfunk ein Interview. Ein paar Meter abseits hat die CDU ihren Wahlkampfstand. Von den Flugblättern lächelt Rüttgers, auf anderen steht in dicken Lettern: «Rot-Rot droht». Und es gibt dieses Wahlplakat, Hannelore Kraft ist darauf zu sehen, sie hält einen Spiegel in der Hand. Doch das Gesicht, das ihr aus dem Spiegel entgegenblickt, ist nicht ihres, sondern das von Andrea Ypsilanti. Das ist die schärfste Waffe der Christdemokraten. Wo immer Rüttgers und seine Parteifreunde können, warnen sie vor dem hessischen Menetekel. Wie Hessens einstige SPD-Chefin Andrea Ypsilanti es wollte, werde Hannelore Kraft nach der Wahl mit der Linkspartei koalieren, um eine Mehrheit zu bekommen.
Kraft und Ypsilanti, schon wieder so ein Vergleich, doch auch er geht eigentlich an der Sache vorbei. Anders als die Hessin will Kraft ein Bündnis mit der Linken vor der Wahl nicht ausschließen. Fragt jemand nach Rot-Rot-Grün, dann sagt sie: «Die Linke ist nicht regierungsfähig.» Weiter will Hannelore Kraft nicht gehen. Die Linken in der eigenen Partei sollen nicht verprellt, die Linken in der Linkspartei nicht mobilisiert werden. Ob die Bürger solche Winkelzüge nachvollziehen können, ist erstmal zweitrangig.
Am Abend, beim Arbeitnehmerempfang der SPD im Düsseldorfer Landtag, spricht Kraft nicht von der Linkspartei, sondern von den Themen des Wahlkampfs, von Bildung, sozialer Gerechtigkeit, verschuldeten Kommunen. Hinter den großen Fenstern im Untergeschoss des Parlaments fließt träge der Rhein, und davor bemüht sich die Kandidatin, die etwa 700 Gäste mitzunehmen. Sie redet laut, lässt die Hand auf- und niederfahren, nickt im Takt ihrer Worte mit dem Kopf: «Wir – dürfen – nicht – zulassen – dass Leiharbeit – benutzt – wird – zum – Lohndumping!»
Die Zuhörer applaudieren, es ist eine SPD-Klientel, Betriebsräte aus ganz NRW. Ein Heimspiel im feindlichen Stadion gewissermaßen, ein roter Staatsakt im schwarz-gelb beherrschten Landtag. Von Euphorie ist trotzdem nichts zu spüren im Saal. Was daran liegen könnte, dass die Wahlkampfthemen nicht so richtig polarisieren. Schließlich wollen alle Parteien den bankrotten Städten helfen, auch Rüttgers hat sich vom einstigen Koalitionsmotto «Privat vor Staat» verabschiedet, und wenn Kraft – Hand rauf- und runter – «Aufstieg – durch – Bildung» fordert, dann stimmt sie bis aufs Wort mit FDP-Chef Andreas Pinkwart überein. Am lautesten klatschen die Zuhörer dann, als Kraft über die Kohlesubventionen spricht.
Hannelore Kraft, die Kohletante. Die Kohle allein erklärt aber nicht die Aufholjagd der SPD in NRW, den wundersamen Aufstieg der Hannelore Kraft. Grund sei die harte Arbeit der Partei, sagt Kraft, natürlich. Die Rüttgers-CDU trägt wohl ihren Teil dazu bei, mit den immer neuen Affären um Parteispenden. Der wichtigste Grund aber liegt weit weg von Düsseldorf, von Ibbenbüren und dem Münsterland. Er liegt in der deutschen Hauptstadt, in Berlin. Vor fünf Jahren war es die Stimmung gegen Rot-Grün im Bund, die Rot-Grün am Rhein die Macht kostete. Jetzt schlägt das Pendel zurück, und der schwarz-gelbe Fehlstart in Berlin könnte für Schwarz-Gelb in Düsseldorf das Aus bedeuten.
Wenn Hannelore Kraft am 9. Mai die Wahl gewinnt und erste Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen wird, dann verdankt sie das in gewisser Weise auch Angela Merkel.