Was habt ihr für einen Kuchen gemacht?
Angela Merkel und Recep Tayyip Erdogan wollen im Kanzleramt mit Jugendlichen diskutieren. Stattdessen machen sie Politik.
Reportage, erschienen in der Berliner Zeitung
BERLIN. Was als Diskussion gedacht war, beginnt mit Schweigen. Gemeinsam stehen 300 Berliner Schüler, Deutsche und Türken, auf der Freitreppe in der Skylobby des Kanzleramtes und gedenken zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan der Opfer der Brandkatastrophe von Ludwigshafen. Das Unglück ist unversehens zum beherrschenden Thema von Erdogans Deutschland-Besuch geworden. Und so ist es dann unvermeidlich, dass die beiden Regierungschefs zuerst noch einmal ihre Positionen klarmachen, auch wenn sich das wohl nicht in erster Linie an die Jugendlichen richtet. Es sei ein schreckliches Ereignis, sagt die Bundeskanzlerin, und verspricht schnellstmögliche Aufklärung. Und auch der türkische Ministerpräsident bemüht sich weiter, die Wogen zu glätten. Er glaube an die deutschen Behörden, meint er.
Dass dieser Glaube manchen in Deutschland lebenden Türken nicht leicht fällt, dass in Ludwigshafen Feuerwehrleute angegriffen wurden, zeigt, welche Kluft sich bisweilen öffnet zwischen Migranten und Mehrheitsgesellschaft. Und auch die Jugendlichen im Kanzleramt berichten von den Missverständnissen und Uneinigkeiten, die sie erleben. Sie werde immer wieder komisch angeschaut, sagt Kevser. Die junge Frau trägt ein türkis-grau gemustertes Kopftuch, als einzige der zehn auf dem Podium versammelten Jugendlichen, die mit Merkel und Erdogan diskutieren wollen. “Man wird abgestempelt als ungebildeter Dorfmensch”, sagt sie. Dabei geht Kevser aufs Gymnasium. Sie sei gerne bereit, Fragen nach ihrem Kopftuch zu beantworten, “aus freien Stücken, auf gut Deutsch gesagt.” Aber es komme eben darauf an, wie gefragt wird. Das ist auch für Tolgay wichtig. Selbst von Freunden bekomme er öfters Vorurteile zu hören. “Das ist nicht so ein Türke”, heißt es, wenn er irgendwo vorgestellt wird, “der ist nicht so schlimm.”
Für Angela Merkel sind solche Sprüche “perfide”. Um die Vorurteile zu bekämpfen, meint die Kanzlerin, muss sich ein Austausch zwischen den Gruppen entwickeln. “Das ist unser gemeinsames Land”, sagt sie. Man müsse sich für einander interessieren, schon im Kindergarten fragen: “Was für einen Kuchen habt ihr gemacht?” Der Oberschüler Erhan stimmt ihr zu. “Die Leute müssen zusammen was unternehmen, ins Kino gehen”, meint er. Sein erster Freund sei jedenfalls Deutscher gewesen. Als Merkel ins Publikum fragt, wer alles Freunde anderer Nationalität hat, gehen sehr viele Arme hoch.
Erdogan will türkische Schulen
Dass Kennenlernen wichtig ist, findet auch Ministerpräsident Erdogan. “Ihr müsst euch integrieren in Deutschland”, ruft er den Jugendlichen zu. Zu einer vollständigen Assimilation aber dürfe das nicht führen. Man müsse die Menschen mit ihrer eigenen Kultur anerkennen, meint Erdogan. Dazu gehört, dass sie ihre Sprache richtig beherrschen. Der türkische Regierungschef will deswegen türkische Lehrer nach Deutschland schicken, und nicht nur das: Auch türkische Gymnasien und Universitäten sollen gegründet werden. Denn schließlich gibt es schon längst deutsche Schulen in der Türkei, und eine deutsche Universität wird gerade aufgebaut. Die Sache scheint Erdogan wichtig zu sein, auf einer Pressekonferenz wiederholt er sie später noch einmal. Zumindest das mit den türkischen Lehrern findet die Schülerin Cansu gut. An die nämlich würden sich ihre Landsleute auch mit außerschulischen Problemen wenden. Angela Merkel allerdings hat damit ihre Schwierigkeiten. “Deutsche Lehrer müssen das auch können”, sagt sie. Auf die Forderungen ihres Amtskollegen nach Schulen und Universitäten geht sie erst gar nicht ein.
Trotzdem liegt es vielleicht an den politischen Statements Erdogans und Merkels – zu Ludwigshafen, zur Bildungspolitik, zu den Erfolgen der Kanzlerin in Integrationsfragen -, dass eine Diskussion mit den Jugendlichen nicht wirklich zustande kommt. Dabei haben die sich vorbereitet, haben Fragen aufgeschrieben. Wie den Migranten der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden könne, will Gymnasiast Tolgay wissen. Aber dafür bleibt dann leider keine Zeit mehr.